DIE WURZELN VON MIJU
Zuerst ein Wort zum Namen: Miju ist der zweite Namen von Alemayehu Daniel’s Vater Daniel Miju. Und Miju ist vor allem ein grandioser Kaffee mit einer ebenso spannenden Geschichte.
Dieser Kaffee stammt von zwölf kleinen Farmen. Farmen, die wiederum zwölf Geschwistern gehören. Dies sind die Schwestern und Brüder von Alemayehu, dem Ältesten. Nachdem ihr Vater starb, haben sie sich, entgegen den lokalen Traditionen, entschieden, die Farm nicht aufzuteilen, sondern zusammenzuarbeiten. Die Geschwister setzen so viel schneller neue Techniken um, können sich gegenseitig unterstützen und wichtige Tätigkeiten gemeinsam, und somit effizienter, organisieren. Die Verarbeitung, die Qualitätssicherung und schliesslich die Vermarktung werden so gemeinsam bewerkstelligt. Auf den insgesamt knapp 9 Hektaren haben sie im letzten Jahr rund 17 Tonnen Kaffee geerntet, das sind fast 2 Tonnen pro Hektaren, eine sehr beeindruckende Zahl, vor allem wenn man die Qualität des Kaffees berücksichtigt. Das gute Resultat basiert auf dem Einsatz von organischem Dünger aus Kuh- und Schafmist, modernen Schnitttechniken und einer intensiven Pflege der Kaffeepflanzen sowie dem Wald als ganzheitliches Ökosystem. Alemayehu Daniel wird von lokalen Agronomen beraten und saugt deren Wissen regelrecht auf. Mit seiner neugierigen, experimentierfreudigen Einstellung zur nachhaltigen Landwirtschaft, schaffte er es auch bei dieser Ernte, das vorhandene Wissen in eine ausgezeichnete Qualität zu transformieren.
In der Tasse schmeckt der Miju intensiv fruchtig, allenfalls erkennt ihr etherische Öle, die an Eukalyptus erinnern. Der Kaffee wirkt sehr frisch und hat Noten von Zitronengras. Dieser Kaffee ist aber mehr als ein spannendes Tassenprofil:
Alemayehu und seine Geschwister bauen neben Kaffee auch Kohl und Ensete an. Letzteres ist eine Bananenart, trägt keine essbaren Früchte, ist grundsätzlich zur Fasergewinnung geeignet, und die Wurzel wird in diesem Teil Äthiopiens zuerst zu Mehl und später zu Kocho verarbeitet, einem fermentierten Brot. Kohl und Kocho sind, neben Fleisch, die Hauptnahrung. Während die Bewohner von Gedeo selber viel Kaffee trinken, verkaufen sie einen grossen Teil der Ernte ins Ausland. Gleichzeitig sind die verschiedenen Elemente auf der Farm aufeinander abgestimmt und spielen eine wichtige Rolle in der ökologischen Stabilität: Die Tiere produzieren die Grundlage für den Kompost, der Kohl bindet Nitrat im Boden, die Ensete spenden Schatten, welcher wiederum von den Kaffeepflanzen benötigt wird, um hochwertige Kaffeebohnen zu entwickeln. Die tiefen Wurzeln der Ensete bringen zudem viel Feuchtigkeit in die Böden und schützen so Mensch, Tier und Umwelt während gefährlichen Dürreperioden vor dem austrocknen. Diese alten und bewährten Kreisläufe und die Innovationskraft von Alemayehu und seiner Familie, beispielsweise bei der Produktion von Kompost, sind auch die Grundlage für den biologischen Anbau von Miju. “Bio” ist hier auch Ausdruck von funktionierendem Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Ökologie spielt eine wichtige Rolle. Insbesondere Bäume sind für die lokale Bevölkerung wichtig. Es wird kein Baum abgeholzt, bevor dies nicht vom Rat der Ältesten abgesegnet wurde und es wird auch gleich wieder ein neuer Setzling gepflanzt. Diese lokale Tradition und der Glaube in eine Koexistenz mit der Natur sorgt dafür, dass die Region, entgegen vielen anderen Regionen in Äthiopien, immer sehr grün ist.
Wo befinden wir uns? Die Farmen von Alemayehu befinden sich in einem Keble (kleinste Verwaltungseinheit), welches sich Chelbes nennt. Chelbes ist wiederum im Gedeb Distrikt (Woreda), welche Teil der Gedeo Zone ist. Schliesslich ist diese Teil der Southern Nations, Nationalities, and Peoples’ Region (SSNPR). Das Zwiebelprinzip erhält hier eine ganz neue Dimension.
Dieser Teil des Landes wird von den Gedeo bewohnt, welche Gedeo sprechen, eine lokale Sprache. Diese Region ist sehr dicht bevölkert (angeblich eines der dichtbesiedelsten landwirtschaftlich genutzten Gebiete der Welt). Das Problem wird verschärft, da mit jeder Erbteilung das Land unter den Geschwistern aufgeteilt wird. Die Flächen werden immer kleiner. Viele Familien sind so in den letzten Jahren in Richtung Guji Zone gegen Osten ausgewandert. Obschon so viel Wissen über den Kaffeeanbau in eine noch weniger entwickelte Region kam, kommt es zu massiven Spannungen zwischen den in Guji ansässigen Guji Oromo. Vertreibungen und gewaltsame Auseinandersetzungen sind leider an der Tagesordnung.
Nebst sozialen Spannungen setzt auch der Klimawandel dem Land Äthiopien und seinen Kaffeebauern zu. Aktuell kämpfen sie gegen sich stetig ändernde Regenzeiten und die steigenden Temperaturen an. Es wird immer schwieriger, tief gelegene Anbauregionen zu bewirtschaften. Neue Krankheiten befallen vermehrt die Blätter der sensiblen Arabica Varietäten und drängen wohl mittel- bis langfristig Kaffeeproduzenten in höher gelegene Anbaugebiete.
In einem verrückten Jahr, in dem weltweit so einiges aus den Fugen gerät, hält der dichte, grüne Wald auf 2’050 M.ü.M., in welchem der Miju Kaffee wächst, die Existenzgrundlage von Alemayehu und seiner Familie zusammen. Das intakte Ökosystem spendet nicht nur Schatten und Nahrung, sondern auch Ruhe und Optimismus, um die bevorstehenden Herausforderungen auf dem internationalen Kaffeemarkt zu bewältigen.
“Wenn du einen Baum fällst, zerstörst du die Umwelt. Wenn du die Umwelt zerstörst, zerstörst du unsere Gemeinschaft.”
Dieses alte Sprichwort und die Koexistenz der Gedeons mit der Natur dient als Lösungsansatz und Vorbild weit über die Grenzen Äthiopiens. Inspiriert sitzen wir vor einer Tasse Kaffee und schwelgen in Erinnerungen an unsere abenteuerliche Reise zu den Wurzeln von Miju.