SO ENTSTEHT UNSERE MILCH FÜR ZÜRICH
Wir spazieren in Richtung Birkenhof. Es ist einer dieser sonnigen, warmen Wintertage, welche für das junge 2020 typisch sind. Wir geniessen die Sonne, sprechen über unseren vermeintlichen UV-Mangel und wünschen uns einen täglichen Mittagsspaziergang. Die Sonnenstrahlen haben aber auch etwas Beklemmendes. Am Strassenrand steht ein Storch in der Moorlandschaft. Was hat der Zugvogel hier verloren? Beim letzten Besuch auf der Mondul Coffee Estate in Tansania haben wir unzählige seiner Kameraden gesehen, welche den Winter auf der Farm verbringen. Wir erreichen schliesslich den Birkenhof und werden von Martin und Andreas Pfister empfangen. Gemeinsam mit den anderen Familienmitgliedern betreiben sie den Hof. Unsere erste Frage gilt dem Storch. Martin bestätigt uns, dass sich viele Störche dieses Jahr dazu entschieden haben, im Zürcher Oberland zu bleiben. Über die Gründe kann man nur spekulieren; das Klima wird wohl Teil der Gleichung sein.
Martin und Andreas zeigen uns den Hof: Die Farm besteht aus Weideland, Feldern, Wald und einem Sumpfgebiet (dort, wo der Storch stand). Insgesamt kommen so rund 70 Hektaren zusammen. Die Pfisters bilden mit der Familie Heusser-Feisthammel aus Nossikon eine Betriebsgemeinschaft. Dieser seit Jahren bestehende Verbund schont die Ressourcen. So teilen sich die beiden Familien die Infrastruktur und die Betriebskosten.
Martin will seinen Hof als Kreislauf verstanden wissen. Die Kühe ernähren sich vom Gras, entweder frisch im Sommer oder aus dem Silo (fermentiert) resp. als Heu im Winter. Dazu kommen die Eiweisserbsen, welche ebenfalls auf dem Hof angebaut werden. Sie sind das Kraftfutter für die Tiere. Die Familie kann ihre Kühe so vollständig mit eigenem Futter ernähren. Nur Salz und einen Teil des organischen Düngers für die Felder werden zugekauft. Martins langfristiges Ziel ist es, die Hummusschicht weiter zu stärken. Auch die junge Generation, Andreas und sein Bruder Christian, ziehen in dieselbe Richtung: Sie wollen die Sumpflandschaft im südwestlichen Teil des Hofes wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückführen. Ein Unterfangen, welches eine weitere Extensivierung voraussetzt.
Wir nähern uns dem Stall. Im Moment leben 68 Milchkühe auf dem Hof. Die Zahl der Kühe richtet sich nach dem Nahrungsangebot, welches der Hof selbst produzieren kann. War die Saison für Eiweisserbsen, Gras und Mais schwierig, muss die Anzahl Kühe für den Winter leicht reduziert werden. Die Birkenhof-Kühe produzieren rund 20 Liter Milch pro Tag. Dies entspricht rund 71 mittleren Flat Whites. Verglichen mit anderen, stärker optimierten Rassen, ist das eine eher geringe Leistung. Die Kühe, die hier leben, sind etwas kleiner, stämmiger und haben keine gigantischen Euter. Der Körperbau erleichtert ihnen das Bewegen auf dem hügeligen Hof und macht sie resistenter gegen Krankheiten – unerlässlich, wenn man den Einsatz von Medikamenten auf ein absolutes Minimum reduzieren möchte. Während die Kühe draussen sind, werden laufend Daten auf eine App übermittelt. So verfolgen der junge Agronom und sein Vater die Kauraten der Tiere aktiv – auch im ETH-Vorlesungssaal, wenn es sein muss.
Im Stall sprechen wir auch über die Hörner der Kühe. Wir zählen fünf Tiere mit Hörnern. Martin erklärt, dass er bei den jetzigen Platzverhältnissen diese Anzahl Kühe mit Hörnern vertreten kann. Würden mehr Kühe ihre Hörner tragen, würde das Verletzungsrisiko für die anderen Tiere steigen. Er bestätigt, dass es bei diesem Thema ein Umdenken gibt. Als er den Hof Mitte der 80er Jahre übernommen hat, waren Laufställe die neuste Errungenschaft für das Tierwohl. Kühe konnten sich frei bewegen, gleichzeitig wurden aber die Hörner zu einem Risiko. Heute, 30 Jahren später, müsste man einen neuen Laufstall bauen mit breiteren Gängen. Ein mögliches Projekt für die nachfolgende Generation. Andreas nickt.
Zurück zur «Betriebsphilosophie» des Birkenhofes. Eng verbunden mit dem Denken in Kreisläufen, ist die Idee des Low-Input Systems. Dabei geht es darum mit den lokalen Produktionsfaktoren einen durchschnittlichen Ertrag zu erreichen. Dies steht im Gegensatz zu einem High-Input System, wo viel Energie auf einen Hof transportiert wird, um den Ertrag zu maximieren (Düngemittel, Kraftfutter, Wasser etc.). Die Böden in der Schweiz sind laut Martin prädestiniert für ein Low-Input System. Die gute Qualität des Hummus, der Luft und des Wassers erlaubt es, mit wenig zusätzlichen Mitteln einen guten Ertrag zu erzielen. Die Energie, welche für den Anbau benötigt wird, muss also nicht von weither transportiert werden. Eine Intensivierung oder Verdichtung ist nicht nötig. Anders verhält es sich zum Beispiel im Süden Spaniens. Dort gibt es zwar sehr viel Sonne, die Böden geben aber weniger Nähstoffe her und Wasser ist Mangelware. Hier ist der Transport der Produktionsfaktoren unerlässlich.