BEI AMY IN DER NEUEN VIBAKERY
Normalerweise beginnen Bäcker:innen ihre Schicht ungefähr um drei Uhr nachts. Amy, macht für uns eine Ausnahme. Gemütlich gegen zehn Uhr besuchen wir Amy und die neue Bäckerei von ViCAFE auf dem Areal der SBB Werkstadt (direkt neben der Rösterei). Sie selbst ist seit ungefähr acht Uhr vor Ort. «Solange wir noch in der Testphase sind, kann ich mir diese Zeiten erlauben. Wenn es ernst wird, findet man mich vermutlich schon um zwei Uhr hier.»
Heute Morgen seien endlich die essenziellen Zutaten wie Mehl, Zucker und Butter angeliefert worden. Bis gestern Abend war nicht klar, ob alles rechtzeitig ankommen würde, erzählt uns Amy.
Wir starten direkt mit dem Teig für die Croissants. Eva, Bäckerin in Ausbildung, hilft mit und schaut Amy genauestens über die Schultern. Die Backstube sowie das Gebäck, das künftig in den Zürcher Espresso Bars verkauft wird, befinden sich noch im Experimentierstadium: «Das ist der dritte Durchgang mit Croissants – ich muss noch an den Feinheiten arbeiten.»
Amy ist in Kanada geboren und gelernte Köchin. Sie wollte ursprünglich Fotografin werden, bis sie realisierte, dass sie dafür viel netzwerken und auf Menschen zugehen muss, was nicht so ihr Ding sei. «Also wurde ich Köchin, hatte meine Ruhe und musste mit niemandem gross reden» sagt sie und lacht. Eine introvertierte Amy? Weit gefehlt. Sie hat viel zu erzählen, vor allem über die Kunst des ursprünglichen Bäcker:innenhandwerks, das in den letzten Jahren wieder Anlauf genommen hat.
«Vegan zu backen ist einfacher als bio.»
Für die hausinterne Bäckerei hatte man von Anfang an einen Anspruch: Alles soll biologisch sein. Dies stellte Amy vor eine grosse Herausforderung. Zum einen war es nicht einfach, alle Zutaten in Bioqualität zu finden. Wenn sie dann Lieferant:innen fand, die entsprechende Produkte im Sortiment hatten, boten diese oft nur einen Bruchteil von dem an, was sie benötigte. «Sinn und Zweck ist es ja auch nicht, zehn verschiedene Lieferant:innen zu haben.» An vegane Zutaten zu kommen, sei definitiv einfacher. Sie war selbst überrascht, wie gross der Markt dafür sei.
Während sie in Kanada als Köchin arbeitete, entdeckte Amy ihr Interesse für Patisserie. «Das war viel bereichernder für mich als das Kochen.» Sie kündigte ihren Job in einem Restaurant, begann in einer veganen Bäckerei zu arbeiten und besuchte nebenbei das George Brown College in Toronto, wo sie Baking and Pastry Arts Management studierte. Anschliessend arbeitete sie als Konditorin und Bäckerin in einem der renommierten Four Season Hotels, bevor die schliesslich nach Zürich zog.
Mit der Gründung einer Inhouse-Biobackstube hat ViCAFE die Möglichkeit, noch näher am Ursprung ihrer Wertschöpfungskette zu sein. Die Bäckerei in der Küche der ehemaligen SBB Kantine ist derzeit ein Provisorium. Später folgt der Einzug in die Rösterei und damit ist alles unter einem Dach.
Die Idee, Gipfeli, Früchtebrötli und Co. selbst herzustellen, entstand schon vor ein paar Jahren. Als sich Amy dann 2019 bei ViCAFE beworben hatte, war klar: Wir starten mit der Gründung der Bäckerei.
Amy backt mit einem modernen Twist und hochwertigen Bioprodukten. Nicht nur steht damit der Nachhaltigkeitsansatz von ViCAFE im Vordergrund, sie trifft auch den Nerv der Zeit. Es freut sie, dass in Zürich sogenannte Micro Bakeries wieder an Beliebtheit gewonnen haben und man sich von industriell hergestellten Produkten etwas distanziert. Das Gebäck der trendigen Bäckereien unterscheidet sich – auch im Preis. «Wenn man die Arbeit hinter der Zubereitung sieht, regionale, saisonale und biologische Zutaten verwendet, ist es völlig legitim, dass die Produkte teurer sind», bestätigt Amy.
Selbstverständlich sind wir auch hier, um etwas vom Gebäck zu probieren. Die Früchtebrötli (vegan) sind inzwischen fertig gebacken. Amy erklärt uns, dass sie bei der Menge des Fruchtanteils variiert hat. Sie schmecken. Luftig, leicht knusprig, süsslich, aber nicht zu süss. Man darf sie noch einen Tick länger im Ofen lassen, sodass die Fruchtstücke schön karamellisieren.
Während wir kosten, bepinselt Amy die Croissants, welche sie am Vortag zubereitet hat, mit frischem Eigelb. Dabei gibt sie uns spontan einen Crashkurs zu Sauerteig:
Amy und Bob
Wer sich schon einmal mit Sauerteig beschäftigt hat, weiss: Sauerteig ist faszinierend aber auch eine Wissenschaft für sich. Ihre Starterkultur (Mehl-Wasser-Gemisch, aus dem sich Milchsäurebakterien bilden) nennt sie lieblich Bob. Bob ist zwei Jahre alt und will regelmässig mit Mehl und Wasser gefüttert werden. Während der Fermentation vermehren sich die Mikroorganismen und der Teig bekommt dadurch seinen säuerlichen Geschmack. Ähnlich wie bei Kimchi bleiben durch dieses Verfahren wertvolle Nährstoffe enthalten.
Ein Teil des Sauerteigs wird dann jeweils zum Brotteig gegeben und wir geniessen herrlich knuspriges, luftiges Sauerteigbrot. Der Rest von Bob wird wieder mit Wasser und Mehl gefüttert, sodass sich stets neue Gase und Mikroorganismen bilden können.
In der Zwischenzeit haben die von Hand gerollten Croissants ihren Weg zum Ofen gefunden. Es fällt schwer, sich bei diesem herrlichen Duft noch auf das Interview zu konzentrieren. Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Croissants und Gipfeli? «Es ist eigentlich das Gleiche. Für mich sollte man aber nach einem Croissant das Gefühl haben, wirklich etwas gegessen zu haben. Ich mag es deshalb auch, wenn sie etwas grösser und schwerer sind als Gipfeli», meint Amy.
Die Backofenuhr piepst. Endlich. Wir bringen gerade noch die nötige Geduld auf, die goldenen Köstlichkeiten etwas auskühlen zu lassen, dann folgt der erste Biss. Die hauchdünnen, knusprigen Teigschichten und der Geschmack von süsslicher Butter machen diese Croissants zum Highlight unseres Besuches. Es bleibt die Vorfreude auf noch mehr Selbstgebackenes, das bald die Vitrinen der ViCAFE Espresso Bars zieren wird.
Bilder: Aaron Fee